Interview mit Sophie Wachter Weltmeisterin im Karate

Sophie Wachter ist 2014 mit ihrem Team Weltmeisterin im Karate geworden. Doch damit nicht genug, in ihrer Karriere hat sie schon einige EM und WM Medaillen einsammeln können, aber auch mit einigen Rückschlägen umgehen müssen. Im ersten Teil unseres Zweiteilers erzählt sie uns von der eisernen Disziplin, die die Vorbereitung auf eine Weltmeisterschaft mit sich bringt. Außerdem spricht sie über Zielsetzung und das Problem der Bewertungskriterien im Karate.

 

Ole: Hallo Sophie. Du trittst in der Disziplin Kata an, in der du gegen einen imaginären Gegner festgelegte Bewegungsabläufe durchführst und anschließend noch die Umsetzung mit deinen Teamkolleginnen im Vollkontakt demonstrierst. Was sind die größten Herausforderungen bei dieser Disziplin und was entscheidet letzten Endes über Sieg oder Niederlage?

 

Sophie: Die größte Herausforderung bist du selbst, bzw. dass du ohne äußere Einwirkung dein Leistungspotenzial abrufen kannst und damit meine ich 110 Prozent. In diesen Minuten im Wettkampf musst du dich komplett auf dich selbst fokussieren. Es ist ständig laut, es läuft ständig jemand durch dein Blickfeld. Du musst deshalb die ganze Zeit bei der Sache bleiben, den bestmöglichen Ausdruck liefern und dich in diesem Moment extrem gut verkaufen.

 

Ole: Wenn du über den Ausdruck sprichst, wie müssen wir uns das vorstellen?

 

Sophie: Es geht darum den Kampfrichtern innerhalb der Kata die Tempowechsel mit dem ganzen Körper darzustellen. Das bedeutet fließende, langsamere Bewegungen erfordern genauso einen passenden Gesichtsausdruck wie schnelle, starke Abläufe. Gerade in unserer Form der Team-Kata ist das eine Herausforderung, weil es mit deinen beiden Partner 100 prozentig synchron verlaufen muss.

 

Ole: Das scheint ihr bei der WM 2014 ja gut umgesetzt zu haben, schließlich habt ihr Gold gewonnen. Wie habt ihr dort die Synchronität zu Stande gebracht?

 

Sophie: Wir haben extrem Wert daraufgelegt, dass unsere Performance ein homogenes Bild ergibt. Fast schon übertrieben, aber letzten Endes hat uns der Erfolg ja recht gegeben. Wir hatten alle die gleiche Haarlänge & Farbe, gleiche Größe, gleich geschminkt. Viel wichtiger, ist dass wir einfach On-Point abgeliefert haben. In Drucksituationen ist keine von uns je eingeknickt, sondern immer über sich hinausgewachsen. Ich brauche sowieso richtig Feuer unter dem Hintern, dass ich meine Topleistung abrufen kann. Das war vor dem Heim-Publikum mit 10.000 Zuschauern definitiv gegeben.

Dann kommen die Teile, in denen du auf einem Bein stehen musst, dass kannst du 100000-mal geübt haben, letztendlich kommt es darauf an ob du beim Wettkampf stehen bleibst oder nicht und das haben wir alle gut hinbekommen. Das Bunkai (Anwendung der Kata) ist unsere größte Stärke, wir leben diese Disziplin und schlagen dann auch richtig zu.

 

Ole: Wie schafft man diese Einheit von drei Kämpfern die in einer Bewegung aufgehen als wären sie miteinander verbunden?

 

Sophie: Man muss sich selbst zurücknehmen, uns ist bewusst wir gewinnen und verlieren als Team, das bedeutet also, dass wir zusammenwachsen müssen. Den Rhythmus der Kata nehmen wir in uns auf, wir öffnen uns bewusst dem Teamgedanken. Wir machen gemeinsame Atemübungen, unteranderem ohne die Katatechnik selbst auszuführen. Dabei halten wir uns am Unterarm fest und gehen gedanklich die Abläufe durch. Genauso mit geschlossenen Augen, damit wir das Rhythmusgefühl des anderen übernehmen können. Auf die Spitze wird das Ganze dann getrieben, wenn wir die Kata gleichzeitig in verschiedenen Räumen starten und trotzdem synchron dabei sind.

 

Ole: Gehörte auch Vorstellungstraining zu eurer Vorbereitung?

 

Sophie: Ja, das haben wir im Mentaltraining geübt, uns aus der Vogelperspektive wahrzunehmen und sich die Einheit die wir bilden gedanklich vorzustellen.

 

Ole: Würdest du sagen, dass man für die Perfektion der Kata auch eine Freundschaft untereinander aufbauen muss, oder ist es möglich ohne positive Beziehung diese Leistung zu vollbringen?

 

Sophie: Ich glaube, dass es auch ohne Freundschaft möglich ist. Denke aber, dass man als Team nur wirklich funktionieren kann, wenn man sich auch versteht. Mit verstehen meine ich beispielsweise gemeinsame Zielvorstellungen. Wenn alle bereit sind und sich demselben Ziel unterordnen und ein gewisses Leistungspotenzial mitbringen, dann kann man im Team auch erfolgreich sein.

 

Ole: Apropos Zielvorstellung, wie sieht es denn mit der Zielsetzung vor Wettkämpfen bei euch aus? Wie geht ihr dieses Thema an?

 

Sophie: Vor den Heimweltmeisterschaften hatten wir die klare Zielstellung: „Wir werden Weltmeister! WWW.“ Ohne Plan B. Hat ja geklappt. Bei der WM in Linz 2016 war das Ziel eine Medaille zu gewinnen. Ich denke wir waren nie besser als in Linz 2016 sind dort aber in der zweiten Runde rausgeflogen. Die subjektiven Bewertungsmaßstäbe sind meiner Ansicht nach die größten Probleme unseres Sports. Dort haben wir uns betrogen gefühlt. Da kannst du dir Ziele setzen wie du möchtest und dann kommt so ein Hammer.

 

Ole: Das klingt ziemlich frustrierend, wie geht man mit so etwas um?

 

Sophie: Ein Beispiel ist auf der EM 2014 passiert, wir sind im Medaillenwettkampf um Platz Drei gegen Kroatien angetreten. Wir kannten die Kroaten gut und zu 90% haben wir damals die Wettkämpfe gegen sie gewonnen. An dem Tag waren wir wirklich stark, wir haben die schwierige Kata Gangaku gemacht, keiner hat gewackelt, es war alles super und wir haben 3-2 verloren. Da stand ich einfach dort und habe mich und meine Leidenschaft für den Sport hinterfragt. Was willst du noch alles machen außer der schwierigsten Kata ohne Fehler? Das Publikum hat diese Emotion noch verstärk indem sie total ausgerastet sind nach der Entscheidung. Mein Trainer hat dann einen der Kampfrichter befragt, wieso er so entschieden hatte. Seine Antwort war: „Ich habe ausversehen die falsche Flagge gehoben.“ Und du stehst nur da und denkst dir: Es geht gerade um eine verdammte Europameisterschaftsmedaille. Und mittlerweile ist das nun ja auch keine Spaßveranstaltung mehr, sondern es geht um einen Job der davon abhängig ist. Ich zum Beispiel, war ja damals noch bei der Bundeswehr in der Sportförderung und entweder du hast eine EM oder WM Medaille oder du bist raus. Da kann ich nur sagen vielen Dank Herr Kampfrichter, dass Sie Ihren Job nicht gut genug gemacht haben und ich mich um meinen Job fürchten musste. Damals war ich kurz davor das Handtuch zu schmeißen.

 

Ole: Du bist trotz der existenziellen Ängste aber dabeigeblieben, wie kam es dazu?

 

Sophie: Wir haben dann lange mit meinem Trainer gesprochen und haben den Wettkampf gemeinsam abgehakt. Ein wichtiger Faktor war, dass der nächste große Wettkampf dann die Heim WM in Bremen sein sollte. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben noch härter zu arbeiten, unsere Performance noch eindeutiger zu machen, damit es so einen Fehler nicht wieder geben kann. Wir wollten soviel besser sein, dass es keinen Zweifel geben kann wer gewonnen hat.

 

Ole: Hättest du einen Vorschlag wie man die Bewertung transparenter gestalten kann?

 

Sophie: Ich war immer der Meinung, dass ein Punktesystem fairer wäre. Leider ist das moderne System so, dass es zwar Punkte gibt, die Kampfrichter dies aber nicht rechtfertigen müssen, damit bleibt es subjektiv und solange dieser Faktor bestehen bleibt, wird es immer mal wieder zu ungerechten Entscheidungen kommen. Wenn es ähnlich wie beim Turnen für bestimmte Übungen ein Wertesystem gibt und dann Fehler mit Punktabzug bestraft werden, denke ich, dass es fairer werden würde.

 

TEIL II

 

Ole: Wann bist du das erste Mal mit Sportpsychologie in Kontakt gekommen?

 

Sophie: Das war 2012. Andreas Ginger ist auch ein Karateka und hat damals als Mental Trainer gearbeitet und uns die Arbeit mit ihm angeboten. Am Anfang war ich tatsächlich gar nicht davon überzeugt. Solchen Themen gegenüber habe ich mich eher verschlossen. Ich gehe auch nicht mit meinen Problemen hausieren und einfach auf fremde Menschen zu. Meine Teamkollegen haben relativ schnell einen Draht zu ihm gefunden, bei mir hat das aber gute zwei Jahre gedauert bis wir eine gute Vertrauensbasis hatten. Da habe ich mich sehr schwergetan. Vor allem die Umfeldanalyse in der du ja von Problemen außerhalb des Sports berichtetes, war ein Thema dem ich mich voll und ganz verschlossen hab. Wer will schon jemand fremden gegenüber seine Beziehungsprobleme mitteilen? Aber das Verhältnis wuchs und das Vertrauen wurde größer, bis wir dann darüber sprechen konnten.

 

Ole: Was denkst du war der wichtigste Faktor um dieses Verhältnis aufzubauen?

 

Sophie: Zum einen die Zeit, sowie dass ich mitbekommen habe, dass die Arbeit mit meinem Mental Trainer mir weiterhilft. Ich habe dann auch erkannt, dass sich bei mir charakterlich etwas tun muss. Zu der Zeit wurde dem Sport einfach alles untergeordnet und es entstand ein unheimlich großer Druck, den ich damals nicht so verarbeiten konnte. Ab dem Zeitpunkt tat es mir tatsächlich gut mit ihm zu arbeiten.

 

Ole: Wurde das direkt gefördert von den Verbänden?

 

Sophie: Ja! Bei unserer ersten EM Teilnahme kamen wir direkt ins Finale und haben somit die „Bescheinigung“ bekommen, dass wir es wert sind, dass man uns jegliche Ressourcen zur Verfügung stellt. Da hat der DKV sich schon großzügig gezeigt.

 

Ole: Welche mentalen Techniken nutzt du am liebsten?

 

Sophie: Wirklich gerne arbeite ich mit Visualisierungen von Momenten in denen ich gute Leistungen abgeliefert habe, das pushed mich ins Unermessliche. Sportler leben ja auch für diese Momente.

Ole: In einem Interview hast du gesagt, dass du deinen Kopf genauso stark machen möchtest, wie deinen Körper. Wie nahe bist du dem Ziel gekommen?

 

Sophie: Ich war schon immer sehr selbstbewusst. Durch meine Erfahrungen und Erfolge ist mein Kopf schon sehr stark geworden, in Momenten in denen der Druck am höchsten ist, blühe ich wie gesagt, am meisten auf. Ich habe verstanden, dass es okay ist, sich selbstbewusst und selbstsicher zu zeigen und den Druck nehme ich nicht mehr negativ wahr. Das macht es im Sport einfacher, im sozialen Umfeld stößt man damit öfter mal an. Es ist gesellschaftlich schon eher schwierig, wenn man sich selbstbewusst gibt und offen preisgibt, welche Meinung man von sich hat. In meinem Fall: Ich bin Weltmeisterin im Karate, ich muss also wohl damals die beste der Welt gewesen sein. Eigentlich bloß eine Tatsache, aber den Blickwinkel verstehen Menschen die nicht an Wettkämpfen in irgendeiner Art teilnehmen meistens nicht. Um auf deine Frage zurückzukommen, ich denke ich bin dem Ziel sehr nahegekommen.

 

Ole: Was sind deine Ziele für die Zukunft?

 

Sophie: Da möchte ich von einer Situation erzählen, die mir vor kurzem wiederfahren ist. Ich trainiere mittlerweile auch Minis im Karate im Alter zwischen vier und sechs Jahren. Da kam eine Mutter zu mir, die mir erzählt hat, dass in Frankfurt jemand unterwegs ist der vor den Kindergärten hält und die Kinder versucht ins Auto zu ziehen und dabei wohl auch schon Erfolg hatte. Unfassbar, aber das passiert in Frankfurt hin und wieder. Und mit meinen Kids mache ich weniger Karatetraining, eher Selbstbehauptungstraining und wir sprechen viel darüber was dürfen andere Menschen machen und was nicht, wann muss man laut werden und so weiter. Jedenfalls hat mir diese Mutter dann erzählt, dass dieser Mensch es auch bei ihrem Sohn probiert hat und der so laut wurde und so laut Stopp geschrien hat, die Sachen umgesetzt hat die wir geübt haben. Dass Leute wirklich darauf aufmerksam wurden und er einer wahrscheinlichen Misshandlung entgangen ist, weil wir zusammen trainiert haben. Ich glaube das war mit das beste Gefühl, das ich je hatte. Ich fange an zu begreifen, dass es eine Welt neben dem Leistungssport gibt, der mich trotzdem dem Karate treu bleiben lässt. Das gibt mir viel Sicherheit für die Zukunft.

 

Ole: Denkst du schon über ein Ende deiner Karriere nach?

 

Sophie: Nein, das war nur ein Ausblick in die fernere Zukunft. Ich werde immer noch besser, jeden Tag. Ich bin athletisch wie nie zuvor, super fit. Meine Gedanken laufen gerade etwas in Richtung Kumite, also dem richtigen Kampf im Karate. Es kann also al meine „geheime“ Passion beschrieben werden in der ich schon Lust hätte vielleicht mal irgendwann einen Wettkampf zu machen. Allerdings nur mit einem großem Fragezeichen.

 

Ole: Du hast auf dem Weg deiner Karriere sicher auch auf einiges verzichten müssen. Wie hast du diesen Verzicht wahrgenommen? Wie schwer war das für dich?

 

Sophie: Es gab da für mich nie eine Diskussion. Wenn meine Freunde gesagt haben: „Kannste‘ nicht mal kommen?“, wenn ich einen Wettkampf hatte konnte ich einfach nicht, PUNKT. Die härteste Zeit war aber schon in der Jugend mit 13-16 Jahren. Mein damaliger Freundeskreis hat sich gefühlt ein wenig von mir abgewandt, weil es hieß: „Du kannst ja eh nicht kommen, warum sollten wir dich einladen?“ Das hat mich emotional schon sehr getroffen. Mittlerweile sind das auch genau die Leute, die sagen: Sophie Wachter, die kenn ich!

Ich würde es rückblickend aber nicht anders machen. Ich habe dadurch so viele Erfahrungen gemacht, die kaum ein „normaler“ Mensch machen wird in seinem Leben. Ich könnte mir ein einfaches Leben auf dem Dorf auch nicht vorstellen.

Das Einzige was ich etwas bereue ist, dass ich nie die Möglichkeit hatte länger im Ausland zu leben, der Drang nach neuen Erfahrungen und dem Entdecken von anderen Kulturen ist schon stark in mir. Aber vielleicht kommt diese Möglichkeit noch irgendwann.

 

Ole: Als letztes frage ich meine Interviewpartner immer: Was würdest du jungen Karatekas auf ihrem Weg mitgeben wollen?

 

Sophie: Macht Karate nicht nur des Wettkampfs wegen. Karate formt euch, euren Körper und euren Charakter. Ihr werdet vielen anderen in eurem Alter voraus sein und findet in der Sportwelt eine zweite Familie. Lasst euch von Rückschlägen nicht unterkriegen, die gehören dazu und zeigen euch mit schwierigen Situationen umzugehen. Das Wichtigste aber ist: habt Spaß! Der gehört dazu!

Und Karate ist mittlerweile kein Sport mehr den man nur wettkampfmäßig in seiner Jugend machen kann oder während des Studiums.

Ihr habt also Zeit zu wachsen und euch an die Spitze zu arbeiten, wenn ihr mit dem richtigen Ehrgeiz und Zielen an die Sache geht!

Viel Erfolg dabei!

 

Ole: Vielen Dank liebe Sophie, dass du dir die Zeit genommen hast. Ich wünsche dir auf deinem Lebensweg weiterhin viel Erfolg und noch viel tolle Erlebnisse.